Psychohygiene und malen

Seit mehr als einem Jahr kann ich nichts mehr schreiben. Ich weiß nicht, ob das eine sogenannte Schreibblockade ist, denn eigentlich könnte ich ja. Nur, wegen der immer noch andauernden „aktuellen Situation“ würde jeder Text unweigerlich in beißendem Zynismus enden, was ich nicht will. Davon gibt es schon genug. Irgendwo las ich in den letzten Wochen sowas wie: es gäbe ja überhaupt keine Filme/Serien, in denen Menschen mit Masken rumlaufen und Corona gar keine Rolle spielt. Das wäre doch unrealistisch. Ja nun, möchte das irgendjemand sehen? Also ich nicht! Diese Realität habe ich seit mehr als zwei Jahren, das muß ich nicht auch noch im Fernsehen haben. Genau so wenig wie in Geschichten und Büchern. Und da unsere Politik weiterhin die Querdullies verhätschelt und bis zum Anschlag im Ar….llerwertesten der Wirtschaft steckt… ja, hallo, da isser schon, der Zynismus.

Weil ich nun dringend was für meine Psychohygiene tun muß, habe ich mir eine Strategie zurechtgelegt. Jemand schimpfte schon vor anderthalb Jahren auf die „Eigenverantwortung“, was damals ein politisches Schlagwort war und nicht funktionieren würde. Da ging es um die Einführung der Impfpflicht. Heute wissen wohl die meisten: mehr als Eigenverantwortung bleibt nicht, denn absolut nichts, was der deutsche Staat da „angepackt“ hat, funktioniert auch nur halbwegs. Oder in etwa so gut, wie die Abschaffung der lästigen Zeitumstellung. Das sollte 2021 stattfinden, haha. Meine Strategie sieht nun so aus:

Ich pfeife auf sämtliche Änderungen, Free-Dumm-Days und Lockerungen, was Corona betrifft. Ich werde weiterhin eine Maske tragen (Ja, ich bin so frei!), meine Hände waschen und desinfizieren und weitestgehend mit meinem Hintern zu Hause bleiben. Und malen!

Im Kunstunterricht lernt man ja zuallermeist, daß man es nicht kann. Ich habe die Schule im festen Glauben verlassen, ich bekäme keinen vernünftigen Strich hin und habe demzufolge jahrzehntelang keinen Stift angefasst. Obwohl ich immer gerne gemalt, gekritzelt usw. habe. Es kam nur nie was dabei raus und wenn man glaubt, man kann etwas nicht, lässt man es irgendwann sein. Isso.

Geändert hat sich das so 2016 wegen Twitter. Die erste Künstlerin/Illustratorin, der ich da folgte, war dankenswerter Weise @e13kiki, die da im September den Catember ausrief. Einen Monat lang jeden Tag eine Katze malen und hochladen. Ich war mir nicht sicher, ob ich da mitmachen sollte, schließlich „konnte“ ich ja nix und vermutlich würden alle über meine Bilder lachen… Aber ich wollte da mitmachen, menno! Also kaufte ich mir ein Skizzenbuch und einen Satz billige Buntstifte. Blöder Fehler, ja, weiß ich jetzt auch, aber ich wollte nicht zu viel Geld für etwas ausgeben, „was ja eh nix wird“. Ja, dieser eingetrichterte Gedanke, nichts zu können, saß echt tief.

Egal, ich malte Katzen. Und ich wurde besser. Die ersten waren wirklich Kindergartenniveau, aber mit der Zeit wurden sie besser und besser. Durch den Catember lernte ich noch mehr Künstler kennen, hauptberufliche und hobbytreibende, denen ich folgen konnte. Trotzdem blieb das alles noch recht zögerlich. Denn es gibt da noch etwas, was man im Kunstunterricht nicht lernt (bei mir war es jedenfalls so): nämlich, wie man mit Materialien umgeht und was man damit macht. Keine Ahnung, wie viele Pinsel ich ruiniert habe, weil mir niemand erklärt hat, wie und womit man welche Pinsel richtig säubert. Das nur als Beispiel, ich male lieber mit Stiften, weil ich über die irgendwie mehr Kontrolle habe. Aber auch da gibt es Unterschiede. „Kunst“ ist ein Handwerk und mit schlechten Materialien, oder wenn man die falsch benutzt, kommt eben nichts Gutes bei raus. Womit ich bei den billigen Buntstiften bin, die ich inzwischen entsorgt habe. Klar kann man mit denen malen, aber die Farben sind mies und auch die Deck- und Leuchtkraft. Billige Minen brechen andauernd und lassen sich daher miserabel anspitzen. Gleiches gilt natürlich auch für Bleistifte. Während meiner Berufsausbildung musste ich das lernen: die gesamte Bandbreite an Härtegraden für Bleistifte und die Mischungsverhältnisse von Ton und Graphit. Aber nur in der Theorie! Ich bekam nie einen Stift in die Hand um zu erfühlen, wie sich der Stift auf Papier verhält. Ich habe mich immer gewundert, warum jede Zeichnung unweigerlich ruiniert war, sobald ich radieren musste. Nun, weil nicht jeder Radierer zu jedem Bleistift passt. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, daß es diese Knetradierer gibt, ich kannte nur diese harten Plastikradierer, die eben elend schmieren.

Lange Rede kurzer Sinn: ich kaufte mir je einen Satz gute Bleistifte und einen Satz gute Buntstifte. Und nun probierte ich eben rum, was man damit wie malen kann. Ich bin in der Abmal-Phase. Das bedeutet, ich suche mir ein Bild aus, oder auch nur den Teil eines Bildes, und versuche, ihn abzumalen. Mein erstes „Opfer“ war der kleine Rabe Rrah von @e13kiki, weil ich mit dem prima die Bleistifte testen konnte.

Meine Malutensilien
Bleistifttest mit Rrah

Dann natürlich die Pui Pui Molcars! Es gibt unendlich viel Fanart und da ich die einfach liebe, male ich sie.

Rescue Molcar
Potato Molcar

Oder auch Bilder von @KatzUndTinte, die ich sehr mag.

Beim Abmalen geht es nicht darum, jemandes Bild einfach abzukupfern. Tatsächlich lerne ich sehen. Proportion, Abstände, wie setzt man einen Schatten usw. Ich habe mehr über Licht und Schatten gelernt, in dem ich @e13kiki zugesehen habe, als in allen Kunst-Unterrichtsstunden zusammen. Ich war schon immer eher Team learning-by-doing und wenn ich etwas wissen will, kann ich unter dem Hashtag #kleinekunstklasse einfach fragen. Irgendjemand weiß immer was und hilft weiter. Zum Beispiel @MelanieGyver, die unter #melzeichnet schön anschaulich zeigt, wie Figuren entstehen oder Perspektive funktioniert.

Etwas, das ich in der Kunstbubble auch sehr schätze: es gibt kein Gezänk und Geläster.

Ich setze mich also hin und male. Niemand wird bestreiten, daß das Leben momentan reichlich belastend sein kann und das sich dieser Zustand wohl auch so schnell nicht ändert. Ob er je wieder auf das zurückspringt, was wir mal als „normal“ empfanden? Keine Ahnung. Aber ich finde, jeder hat das Recht, sich eine Oase zu schaffen, einen Ort, an den er sich vor allen Belastungen zurückziehen kann. Und wenn das für mich jetzt malen ist und mir der Prozess Spass macht und ich mich über das Ergebnis freue, dann ist das eben auch gut für meine psychische Gesundheit.

Links das Original von @KatzUndTinte, rechts meine Ente

Ich habe fertig! 13 Monate Pandemie und kein Ende….

Dreizehn Monate weltweite Pandemie und ich bin enttäuscht. Und müde. Und wütend. So, so wütend. Dazu mischt sich Fassungslosigkeit über so viele Dinge, daß ich nicht mal weiß, wo anfangen…

Niemand von uns hatte je mit einer solchen Situation zu tun. Denn wer die Spanische Grippe 1918 erlebt hat, ist kaum noch hier. Also für alle neu und dann werden ganz klar auch Fehler gemacht. Aber inzwischen werden die Fehler des Anfangs immer und immer wiederholt und sich gewundert, warum es nicht besser wird. WARUM?!

Ich bin keine Wissenschaftlerin und schon gar keine Expertin. Rein wissenschaftliches Denken ist nicht meins. Aber ich habe ein gewisses Grundverständnis, wie diese Dinge funktionieren und weil es eben mehr nicht ist, höre ich darauf, was wirkliche Experten zu dem Thema sagen. Ich bleibe Zuhause, trage sogar eine Maske, wenn ich den Müll rausbringe und habe kein soziales Leben mehr. So ist es, Punkt.

Wir alle kennen ja diverse Hollywood-Katastrophen-Klischee-Filme, bei denen wir uns immer dachten: „Unmöglich! So bekloppt würden wir uns heutzutage nie aufführen.“ Tja, bis die Leute anfingen, sich um Klopapier und Hefe zu prügeln und Desinfektionsmittel aus Krankenhäusern stahlen, sich also exakt so bekloppt aufführten, wie ich dachte, das würde nicht passieren. Immerhin kam da aber noch ein Statement der Regierung, die Versorgung sei gesichert. Was seitdem von der Regierung kommt, ist ja eher ein Trauerspiel. Und was ich spätestens seit Weihnachten weiß: Wir, die „Bürgerinnen und Bürger“, zählen nicht. Keiner von uns! Wir sind ganz prima für Parolen wie „Schützt die Alten und die Kinder!“ – aber bitte nur so lange, wie die arbeitende Bevölkerung weiter für uns, die Lobbyisten, Geld scheffeln kann. Ansonsten sterbt ruhig, Kollateralschaden, so ein Pech aber auch. Die Geldgier ist einfach unbeschreiblich in diesem Land, allein die Korruptionsfälle der letzen sechs bis acht Monate würden genügen, daß sich die CDU/CSU auflösen müsste. Und obwohl ich kein Fan von ihr bin, möchte ich Angela Merkel da ausdrücklich von ausnehmen. Die Frau hat bestimmt noch nicht mal ein Hustenbonbon von jemandem angenommen – und sie KANN wissenschaftlich denken!

In den ersten Wochen der Pandemie war ich motiviert, so wie viele andere auch. Wir halten zusammen, wir schaffen das, wäre doch gelacht. Ich fing an, kleine virtuelle Filme zu drehen und online zu stellen. Jeden Tag eine kleine Ablenkung, eine kleine Freude, die hoffentlich ein paar Leute erreichen wird. So ein kleines Filmchen dauert nur ein paar Minuten, beinhaltet aber durchaus einige Stunden Arbeit. So war ich sinnvoll beschäftigt, ich habe mich nicht gelangweilt, alles war gut. Leider bin ich aber stimmungsabhängig und musste damit wieder aufhören, denn ich wollte mit meiner Arbeit den Menschen eine Freude machen und sie nicht deprimieren. Je mehr Schwurbel-Covioten sich durch die Städte wälzten und und immer noch wälzen, je fassungsloser ich vor der Untätigkeit der Polizei und Politik saß und mir das anguckte, desto unfähiger wurde ich, kreativ zu arbeiten.

Womit ich dann jetzt zur richtigen Enttäuschung und Wut komme. Noch ein Wort vorweg: ich gehöre nicht in die „Ich wünsche ja niemandem was Schlechtes, aber…“-Fraktion. Mittlerweile wünsche ich einigen SEHR Schlechtes und wer das jetzt ganz furchtbar findet, sollte ab hier aufhören, zu lesen.

WARUM wird nicht auf die Wissenschaftler/innen gehört, die wirklich Ahnung haben? Ein Virus ist kein denkendes Wesen, mit dem man verhandeln kann, doch bitte unsere heilige Wirtschaft nicht zu ruinieren. Es unterliegt festgelegten Naturgesetzen und reagiert nicht auf Mittelalter-Hokuspokus. Ich warte ja nur darauf, daß Drosten und Lauterbach wegen Hexerei angeklagt werden. Das fehlt in dem Irrenhaus hier noch!

WARUM gibt es keine bundesweit einheitliche Aufklärung in verständlicher Sprache, so daß auch der letzte Coviot-Spacken begreift: euer asoziales Verhalten bringt Menschen um. Und wenn ihr es schon nicht glaubt, nehmt wenigstens Rücksicht auf die, die es tun.

WARUM dürfen tausende von bildungsfernen Intelligenzabstinenzlern vollkommen unbehelligt Polonaisen und Ringelpietz mit Anfassen in den Innenstädten spielen und die Polizei steht daneben und grinst??? Wieso fahren da keine Wasserwerfer rein?! Warum werden diese Leute nicht verhaftet und zur Rechenschaft gezogen? Weil die Polizei „diese Bilder nicht will“? ICH will die aber. Und viele andere, die das bloß nicht laut sagen, wollen die vermutlich auch, wir würden von unseren Balkonen Beifall klatschen und singen! Wir haben die Untätigkeit und die Uneinigkeit „von oben“ satt bis zum Stehkragen. Macht ENDLICH euren verdammten Job, dafür werdet ihr bezahlt – und nicht dafür, euch die Taschen vollzustopfen. Wenn ihr nämlich dann an Covid-19 (oder mit? Egal!) krepiert, könnt ihr das ergaunerte Steuergeld nicht mitnehmen. Leichenhemden haben keine Taschen!

In den letzten Monaten habe ich gelernt: wirklich wichtige Jobs werden nicht gewürdigt und geschätzt. Niemand ist gleich und andere sind eindeutig gleicher. Soloselbständige, Kreative, Künstler, aber auch Kranke und Hilfsbedürftige werden ignoriert, im Stich gelassen und können sehen, wo sie bleiben. Schulen etc. sind in einem erbärmlichen Zustand, nicht nur bautechnisch sondern auch im Bereich der Lernmittel. Leute wie LeFloid (Youtuber) statten eine Schulklasse mit Tablets aus! Wie großartig – und gleichzeitig was ein Armutszeugnis für unser Land! Deutschland hatte mal einen guten Ruf. Mittlerweile ist davon nichts mehr übrig außer einer Arroganz, für die es schon lange keinen Grund mehr gibt.

Damit dieser Post hier nicht nur negativ ist, es gibt trotzdem immer noch kleine, aber wunderbare Lichtblicke. Jeden Morgen das #Bärenabo von @e13kiki, das mir der Beste Freund von Allen geschenkt hat und das mir jeden Morgen ein Lächeln schenkt. Die Haie von @GywerMelanie, die jeden Tag so herrlich schräg und verrückt und genial sind und über die ich schon Tränen lachte. Es gibt noch mehr, aber gerade diese beiden sind so bewundernswert, weil sie es schaffen, dieses Lächeln in die Welt zu bringen, obwohl sie sich garantiert über all das aufregen, über das auch ich mich hier aufrege.

Und zum guten Schluß gibt es noch die Pui Pui Molcar, einen kleinen, bisher zwölfteiligen Anime, der so bezaubernd niedlich ist, daß er mich eindeutig vor der totalen Depression gerettet hat. Meine Strohhalme vor dem völligen Wahnsinn.

Ein Rant zwischendurch

Lange war es still hier. Es gibt ja auch wenig zu berichten, denn in der noch immer andauernden Selbstisolation passiert ja nicht so viel, alles mutiert irgendwie zu Routine. Schweinchen versorgen, Wäsche waschen, bisschen putzen, kochen, Videos/Filme gucken und das Ganze von vorne. Ich habe angefangen, mir einige YT-Kanäle von japanischen Influencern anzugucken, vornehmlich um ein paar neue Rezepte abzustauben aber auch, um mir das alltägliche Leben in Japan anzugucken. Mein Fenster zur Welt sozusagen, wenn ich schon nirgends hin kann. Das Problem ist, diese Kanäle sind dermassen identisch gleichgeschaltet, sie haben zum großen Teil sogar die gleichen Töpfe und Bestecke, daß ich den Überblick verliere, welchen Kanal ich eigentlich sehe. Die sind wie geklont. Einzige wirklich entzückende Ausnahme ist der Kanal vonKimono Mom .

Vielleicht bin ich auch deswegen gerade besonders übellaunig, weil ich seit März in meiner Wohnung sitze und mir den Wahnsinn der Welt von hier aus ansehe und mir meine Gedanken mache. Und ich warne euch jetzt schon: diese Gedanken sind in den Augen mancher mit Sicherheit rassistisch, sexistisch, übel und ganz, ganz schlimm böse! Das macht mir aber nichts, denn es ist ja egal, zu welchem Thema ich so meine Gedanken habe, irgendjemand wird sich schon angegriffen fühlen und mir eine -ismus -Keule überbraten. So what?
Ich bin eine mittelalte weiße cis-Frau (ein Begriff, den ich tatsächlich erst mal nachlesen musste) und das heißt, ich bin mit dem dualen System aufgewachsen. Also dem Prinzip Mann – Frau. Natürlich habe ich gelernt, daß es da noch einiges dazwischen gibt, einiges verstehe ich, anderes geht über meinen Horizont. Und damit hat es sich auch. Es gibt heute Menschen, die von sich sagen: „Ich bin nicht Mann noch Frau, ich bin ein lilagestreifter außerirdischer Joghurt und als solcher möchte ich bitte wahrgenommen, angesprochen und respektiert werden, klar?!“
Das ist so eine Konstellation, die meinen Horizont übersteigt. Genau so, wie der Shitstorm, den eine bekannte Autorin unlängst abbekam, weil sie sich gegen die Formulierung „Menschen, die menstruieren“ wehrte und sagte „Das sind Frauen.“Punkt. Sie ist mein Jahrgang und vielleicht sind wir einfach zu alt, um Dinge wie lilagestreiften Joghurt zu verstehen, aber biologisch betrachtet hat sie nun mal recht. Männer menstruieren nicht. Das eine Transfrau deswegen für mich trotzdem eine Frau ist und von mir als Mensch so behandelt wird, steht außer Frage, aber gerade bei diesem Thema geht es halt um Biologie und nicht um persönliches Empfinden.
Wie sehr man inzwischen aufpasst, was man zu wem sagt, wurde mir in dem Augenblick bewußt, als ich mich bei meinem besten Freund tatsächlich dafür entschuldigt habe, ihm die Netflix-Serie „Pose“ empfohlen zu haben! „Also….äh….ich sag das jetzt nicht, weil du schwul bist und ich denke, das muß dir jetzt deswegen gefallen. Die Serie ist klasse, aber das…äh… also, das hat jetzt nix mit Klischee zu tun….“ WAS RED ICH DA ZUM TEUFEL?! Er lachte sich halbtot am Telefon über mich. Es ist gut, das Bewußtsein dafür zu schärfen, manche Dinge einfach nicht zu sagen oder zumindest zu hinterfragen, aber was derzeit abgeht, ist schlicht absurd.
Ich habe gerade einen Krimi aus den späten 80ern beendet, in dem sehr oft das Wort „gemischtrassig“ vorkam. Nun wissen wir ja alle, „Rasse“ gibt es beim Menschen nicht, wir sind alle ein genetischer Brei, bestenfalls gibt es unterschiedliche Ethnien. Soll die Autorin das Buch jetzt komplett neu schreiben? Soll ich es verbrennen, das böse Ding? Nein, verdammt, das werde ich nicht tun. Ich nehme es als das, was es ist: ein Produkt seiner Zeit. Es gibt dringendere Probleme als alte Formulierungen. Wenn ein dunkelhäutiger Mensch bei einer Behörde, bei der Job- oder Wohnungssuche anders (also herablassend oder sonstwie negativ) behandelt wird, als ein hellhäutiger, wenn er angegriffen, beschimpft, bedroht wird, weil er einen Turban, eine Kippa oder Tschador trägt, dann ist Handeln angesagt. Die Frage „Woher kommst du?“ ist ja schon fast ein Verbrechen. Dabei ist nicht die Frage das Problem, sondern der nächste Satz! Wenn ich als nächstes nämlich sage „Dann geh da mal wieder hin!“ dann bin ich eine Rassistin. Wenn ich allerdings sage „Oh, das klingt interessant, erzähl mir doch was über dein Land“ – dann nicht. Aber dazu muß ich halt abwarten und nicht gleich losplärren…

Es wird sich über so vieles gerade in der Sprache mokiert, daß es einem Autor/einer Autorin (ja, das war Absicht!) Angst und Bange werden kann. Ich las auf Twitter gestern einen Tweet von jemandem, der sich ernsthaft von der Formulierung „eine weibliche Stimme“ getriggert fühlte und deswegen darum bat, das doch anders zu umschreiben. Wie bitte?! Wie soll ich als Autorin das denn bitte anstellen? Es gibt hunderttausende Interpretationen von „weibliche Stimme“ und ich habe beim Schreiben EINE davon im Kopf. Hundert Leser*innen werden hundert Variationen davon in jeweils IHREM Kopf haben, von Zarah Leander (tief) bis zu Lisa Simpson (hoch), je nachdem, wie sich der/die Leser*in die Figur vorstellt. Das ist der Sinn des Lesens, na gut, einer davon: daß sich beim Lesen im Kopf eine Welt ausbreitet, das berühmte Kopfkino.
Würde ich als Autorin mich darauf einlassen, machte ich mich zur Geisel meiner Leser und das kommt nicht infrage. Ganz davon abgesehen, daß dann der nächste ankäme und sich genau davon getriggert fühlt, daß meine Figur auf einmal eine neutrale Stimme hat, was immer das sein soll. Man kann es niemals allen recht machen – und das sollte man als Künstler auch gar nicht versuchen. Dann kann man nämlich einpacken.

Und last but not least: auch wenn es uns alle nervt und viele deswegen so tun, als wäre alles vorbei; die Pandemie ist noch da, ich bleibe zu Hause, trage eine Maske, wenn ich doch mal raus muß, auch wenn mir darunter schwindelig wird – und JETZT habe ich fertig.

Brief an meine tolle Tochter

Liebes Tochterkind,

seit fast einem Monat kümmerst Du Dich jetzt um mich, besorgst mir klaglos alles, was auf meinen Einkaufslisten steht, damit ich nicht vor die Tür muß.

Eigentlich darf ich das ja gar nicht laut sagen, wo sich so viele jetzt eingesperrt, einsam und unglücklich fühlen, aber ich bin hoffentlich keine all zu anstrengende Quarantänepatientin für Dich. Denn ich gehöre tatsächlich auch in eine Gruppe Menschen, die (jetzt!) keine materiellen Sorgen quälen und die diesen „verordneten“ Zustand des Alleinseins tatsächlich genießt. Ich habe mir mein Leben so ausgesucht, lebe meinen eigenen Rhythmus, niemand bedroht mich in meinen eigenen vier Wänden und ich empfinde eine sehr tiefe Ruhe mit mir selbst. Langweile kenne ich ohnehin nicht, ich konnte mich schon immer sehr gut mit mir alleine beschäftigen.

Natürlich bin ich auch mal fünf Minuten quengelig, weil das Wetter jetzt so schön ist und was ich jetzt schmerzlich vermisse, ist ein Balkon. Oder, auch mal wieder selbst einkaufen zu gehen, spontan zu entscheiden, daß ich doch lieber „das da“ hätte statt jenes, was auf dem Zettel steht. Und dann denkst Du Dir lustige Sachen aus, wie zum Beispiel, per Videochat einzukaufen. Selten habe ich mich über den Anblick von Supermarktregalen so gefreut!
Das einzige, was mich wirklich ziemlich nervt an der jetzigen Situation ist, daß ich Dir jetzt schon zur Last falle. Das ist ja etwas, das niemand will: einem anderen lästig und auf Hilfe angewiesen sein. Jedenfalls nicht, bevor er so mindestens fünfundachtzig Jahre alt ist… Das muß ICH jetzt lernen. Und weil ich das überhaupt nicht selbstverständlich finde, weil Du Dein eigenes Leben hast und arbeiten gehst und Dich mit sicherlich nervenden Kunden im Einzelhandel rumschlagen musst (heutzutage ja nicht nur im übertragenen Sinn, wenn man den Berichten glauben darf), schreibe ich Dir diesen Brief um Dir zu sagen, was für ein toller, großartiger Mensch Du bist. Ich weiß, wie sehr Du Dich auf Deinen ersten „richtigen“ Urlaub gefreut hast, so mit Flugreise und Hotel und Meer – und ich hoffe wirklich, der findet auch statt! Und wenn das alles vorbei ist, gehen wir zusammen Eis essen. Oder Waffeln. ODER Glühwein trinken 🙂

Wenn Du jetzt denkst, Deine Mutter wird aber übel sentimental auf ihre alten Quarantänetage, dann muß Dir das gar nicht peinlich sein. Es is ja wie´s is (wie eine nette Frau mit Bär immer sagt):

Du bist mein absolut einziges Lieblingskind!

Deine Mum

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Offener Brief an Bundespräsident Steinmeier

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

ich schreibe Ihnen aus meiner freiwilligen Selbstisolation. Als Risikopatientin habe ich seit 18 Tagen meine Wohnung nicht verlassen. Aber selbst wenn ich es könnte oder müsste, könnte ich es doch nicht, weil ich keinen Mundschutz besitze und es mittlerweile zumindest erwünscht ist, einen zu tragen.

Womit ich zum Kern meines Anliegens komme: Sie, Herr Bundespräsident, zeigten sich in Ihrer Videobotschaft „stark beeindruckt“ von der Solidarität der Bevölkerung. Das ist richtig, sie ist überall zu spüren und ohne sie läge vieles sicherlich noch mehr im Argen. Was in meinen Augen, und sicherlich in den Augen aller, die es tun, jetzt gar nicht geht ist, all die Menschen mit einer Abmahnwelle zu überrollen, die freiwillig und oft auf Spendenbasis Schutzmasken für alle nähen! Viele Unternehmen stellen ihre Produktion auf Schutzmasken um, was gut und richtig ist, und werden dafür gelobt und gefeiert, andere Menschen dafür bestraft? Das kann und darf nicht sein!

Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, ob Sie der richtige Ansprechpartner dafür sind, ich bitte Sie aber trotzdem: Stoppen Sie die Abmahnanwälte! Es ist einfach erbärmlich, aus der großen Solidarität und Hilfsbereitschaft einzelner Menschen Kapital schlagen zu wollen. Wir haben eine globale Krise, die Menschleben kostet und noch kosten wird. Etwas dagegen zu tun, und sei es „nur“ ein Stück Stoff zu vernähen, sollte jetzt unbedingt wichtiger sein als eine Bereicherung auf dem Rücken derer, die freiwillig helfen.

Hochachtungsvoll, Regina Neumann

Gedanken aus der Quarantäne

Bisher habe ich mich ja ausgeschwiegen zum Thema Corona. Aus einer Menge Gründe. Ich wollte erstmal abwarten und gucken, was passiert. Womit ich ÜBERHAUPT nicht gerechnet habe, sind Hamsterkäufe jeglicher Art. Einfach weil wir immer noch in einem der reichsten Länder der Welt leben, in dem es alles gibt und wir eben NICHT alle sterben werden, wenn es den bevorzugten Joghurt mal einen Tag lang nicht gibt. Die Tünche „Zivilisation“ ist recht dünn, wenn Menschen anfangen, sich wegen Klopapier zu prügeln, oder? Ich habe keinerlei Verständnis für Leute, die mit 80 Kilo Mehl und drölfzig Packungen Hefe einen Laden verlassen. Denen wünsche ich einen fetten Befall mit Lebensmittelmotten – dann haben sie in ihrer Hamsterburg wenigstens Verwendung für die 150 Liter Desinfektionsmittel, die sie schlimmstenfalls einer Praxis oder Klinik geklaut haben! Falls ihr es noch nicht bemerkt habt, ja, ich finde solches Verhalten asozial.

Ich lebe jetzt seit zehn Tagen in kompletter Selbstisolation. Als chronisch Kranke gehöre ich mehrfach in Risikogruppen. Und ich habe nicht EINE Flasche Handdesinfektion mehr erwischt (nur am Rande). Klar könnte ich raus für einen einsamen Gang durch den Park, aber ich mache selbst das nicht. Wenn ich nämlich falle, was leicht passieren kann, ist das nicht so einfach „aufstehen, Krönchen richten, weitergehen“, es endet fast immer im Krankenhaus. Und das möchte ich gerade jetzt nicht, die sind da überlastet genug, da muß ich nicht auch noch andackeln, weil ich mit dem Hintern nicht zu Hause bleiben konnte. Klar, ich falle auch zu Hause, aber wesentlich seltener – und hier habe ich tatsächlich mehr Möglichkeiten, alleine wieder hoch zu kommen und die Verletzungsgefahr ist nicht so hoch. Also wäre das schon mal geklärt.

Tatsächlich bin ich wohl, trotz Temperament und durchaus kommunikationsfähig, eher introvertiert. Mir fehlt nämlich gar nichts. Über Twitter (ja, meinetwegen auch Facebook) sehe ich euch alle. Ich sehe, daß ihr noch da seid, ich erfahre, was ihr macht – und ihr seht, was ich mache. Wir können jederzeit miteinander reden, quer über die ganze Welt von Lummerland bis Japan, von Neuseeland bis nach Alaska. Wir komischen Leute da in diesem Internet haben jetzt im wahrsten Sinn des Wortes Heimvorteil. Natürlich denke ich auch darüber nach, wie es weitergeht, in einigen Wochen oder gar Monaten. Wird sich unsere Gesellschaft jetzt verändern und wie? Ich glaube, das liegt zum großen Teil an uns. Und nennt mich ruhig eine naive Optimistin, wenn ich sehe, was viele einzelne an Hilfsmaßnahmen oder auch nur an täglichen kleinen Lichtmomenten in die Welt stellen, ist noch nicht alles verloren und vielleicht begreift auch noch der Letzte, daß 400 Rollen Klopapier nichts sind gegen ein positives Miteinander. So, ich habe fertig. Bleibt gesund!

Ich habe keinen Bock mehr oder: alle bekloppt

Neulich mal hat Twitter wieder richtig Spass gemacht. Seit langer Zeit mal wieder. Ich hatte eine Frage und es entspann sich eine interessante Diskussion. Ganz ohne Mimimi und gegenseitiges Gebashe. Nun ist meine Filterbubble zugegeben recht klein und da sind nur nette, vernünftige Menschen drin (Natürlich!), aber das verhindert ja nicht, daß weniger nette, vernünftige Menschen seitlich reingrätschen und man das gesamte Thema dann frustriert löscht.

Weil es nämlich keinen Spass mehr macht. Nirgends. Vor ein paar Jahren ging es noch, da konnte man sich drauf verlassen, auf Facebook tummelten sich die Aluhutträger und Konsorten, auf Twitter waren eher die „Intellektuellen“ oder so. Inzwischen kann man pauschal sagen: alle bekloppt. Und es ist weder eine themenbezogene noch nationale Beklopptheit, es ist überall dasselbe.

Postet nichts zum Thema Essen, um Himmels Willen!
„Waaas, du Tiermörder ißt noch FLEISCH?!“
„ Hahaha, Vegaaaner!“
Verbalschlacht, Handgemenge…

Klimawandel, Greta Thunberg – willst du Social-Media-Selbstmord begehen?!
Was dazu abgelassen wird, spottet jeder Beschreibung, Social Media wieder zu.

Jemand bittet wegen irgendwas um Hilfe:
„Wer sagt uns, daß das stimmt und du nicht nur Leute abzocken willst? Beweise erstmal, ob du überhaupt Deutsche/r bist, ne?!“
(Im schlimmsten Fall, zum Glück geht es auch anders und viele helfen immer noch problemlos. Aber obige Diskussion taucht eben regelmässig auch auf, garniert damit, daß diejenigen, die helfen, als naive Idioten beschimpft werden.)

Meerschweinchen! Die sind süß und flauschig, da kannste doch nix…. Dooooch, kannste!
Jemand postet ein Foto, Meerschweinchen im Schnee. Jemand schreibt dazu, Meerschweinchen bitte nicht in den Schnee zu setzen, weil sie empfindlich sind und schnell sehr krank werden. Reaktion?
„Wie unhöflich! Wieso verurteilst du mich, was fällt dir überhaupt ein?! Das saß nur für das Foto da und überhaupt… mimimiiiiiii“

Organspende, Politik, Silvester? Nope. Wobei, Silvester ist ein schönes Beispiel dafür, daß „Gesellschaft“ irgendwie kaputt ist. Und ich meine jetzt gar nicht die Diskussion, ob Feuerwerk verboten gehört. Das ist nur das Ergebnis der kaputten Gesellschaft. Als ich ein Kind war, haben wir auch Blödsinn gemacht. Auch wir haben einen Knallfrosch in den Briefkasten des ewig meckernden Nachbarn gesteckt, der uns täglich dreimal stockfuchtelnd vom Rasen jagte. Aber niemals warfen wir Feuerwerk in Menschenmengen oder auf Tiere! Das mußte man uns nicht mal extra sagen, es war klar, sowas tat man einfach nicht. Heute ist das offenbar Volkssport und man lacht sich darüber halbtot, wenn ein Tier völlig panisch in ein Auto rennt oder zuckt die Schultern, wenn ein Mensch verletzt wird. Auf der einen Seite totale Überempfindlichkeit bei Allem und Jedem, auf der anderen Seite komplette Empathielosigkeit, ein Mittelmaß gibt es nicht mehr. Weder in Ansichten noch in Diskussionen. Das ist der Grund, weshalb ich zu den meisten Themen inzwischen meinen Mund halte und mir mein Teil denke. Ich ärgere mich höchstens, daß ich das nicht bei noch mehr Themen schaffe. Nur, welchen Sinn macht Social Media dann noch? Außer natürlich für Werbekasper und Instagram-Influencer… Es wird jedenfalls um einiges ruhiger werden hier, ich habe momentan einfach keinen Bock mehr.

Theater der Nacht – Northeim

Es gibt Orte auf der Welt, die allein durch ihre Existenz die Kreativität anstoßen, einfach weil sie magisch sind. Das Theater der Nacht ist so ein Ort. Die ehemalige Feuerwache hat sich im Laufe der Jahre zu einem Gesamtkunstwerk entwickelt, angefangen vom Äußeren des Hauses über sein phantasievolles Innenleben.
Eine weithin bekannte Institution für märchenhaftes Puppenspiel, die Nacht der Puppen, Maskenbaukurse und vieles mehr. Wer hier in die Gegend kommt sollte unbedingt einen Abstecher machen und staunen. Ein wenig hoffe ich, die traumhafte Atmosphäre mit meinen Fotos eingefangen zu haben. IMG_0524

Die ehemalige Feuerwache

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Wundervolle Figuren. Und es gibt in JEDEM Winkel etwas zauberhaftes zu entdecken.

Die Bildrechte bleiben bei (c) Rolf Högemann und (c) Regina Neumann

Au revoir Mlle Read On

Viele Dinge sind in den letzten Wochen gesagt worden über Fräulein Readon Marie Sophie Hingst. Tatsachen und Vermutungen, Verständnis und Verdammung. Gelesen habe ich alles, gesagt habe ich nichts, gedacht habe ich manches.

Ich habe ihren Blog gelesen und gemocht. Ich habe ihre Artikel nie hinterfragt, warum hätte ich das auch tun sollen? Ich habe auf Twitter hin und wieder einen Satz mit ihr gewechselt, ich kannte sie nicht persönlich und habe nie von Angesicht zu Angesicht mit ihr gesprochen. Trotzdem trifft mich ihr Tod, als hätte ich sie gekannt. Oder vielleicht ist es die Art, wie es geschehen ist und wie sinnlos das war.

Es wurde viel geredet über Moral und Ethik. Vor allem über die von Fräulein Readon. Darf man sowas? Kann man doch nicht machen sowas! Und ganz plötzlich lag jedes geschriebene Wort von ihr auf der Goldwaage. Hat es den Tierarzt jemals gegeben? Und das Kälbchen? Das Dorf in Irland? Irland überhaupt? Ganz ehrlich muß ich sagen, daß mir das völlig egal war. Ich fand ihre Geschichten hübsch und wunderbar aufgeschrieben. Das ist mein persönlicher Geschmack, der muß anderen ja nicht gefallen und ein Blog hat für mich erst mal einen Unterhaltungswert und keinen unbedingten Wahrheitsanspruch.
Über die Betrugsvorwürfe an Yad Vashem habe ich nichts zu sagen, denn ein Urteil darüber steht mir nicht zu. Ich bin keinen einzigen Schritt in ihren Schuhen gelaufen.

Was mich jetzt zu Moral und Ethik der Presse, insbesondere von Martin Doerry vom Spiegel, bringt. Wenn ein Journalist Kenntnis von einer Story erhält, noch dazu einer mit einer gewissen Brisanz, wird er ihr nachgehen. Selbstverständlich. Und er wird sie auch veröffentlichen, wenn ein großes öffentliches Interesse besteht, davon lebt er schliesslich. Aber auf welche Weise er das tut, bleibt ihm überlassen. Man kann einen Menschen natürlich ins Rampenlicht zerren und den Wölfen zum Fraß vorwerfen, auch wenn man den leisen Verdacht hat, dieser Mensch ist vielleicht psychisch nicht so stabil, sich abwenden und die nächste Story schreiben. Bild-Zeitungs-Niveau eben. Wie weit geht journalistische Verantwortung? Darf man jemanden unter Vorspiegelung falscher Interessen (angeblich ging es um ein Buch-Interview) so in eine Falle laufen lassen und dann seelenruhig zusehen, wie ein dadurch ausgelöster Shitstorm einen Menschen zerstört? Und den hat es gegeben. Von wüsten Beschimpfungen bis hin zu eben Selbstmordbefehlen, manche halbherzig verklausuliert, manche ganz offen. Ich muß niemandem, der sich innerhalb Social Media bewegt, etwas über die dort herrschende „Kommentarkultur“ erzählen.
Was machen solche Menschen jetzt? Menschen, die sich entweder so erhaben fühlen oder so bösartig sind, einen anderen zum Selbstmord aufzufordern – und genau das geschieht dann. Was tun die? Gratulieren die sich jetzt? Oder halten sie doch eine Sekunde inne und denken „Oh shit, das hätte ich vielleicht doch nicht sagen sollen?!“.
Inzwischen werden Stimmen laut, der Journalist Doerry habe keine Schuld sondern nur seinen Job gemacht, und wenn man jetzt ihn zum Ziel eines Shitstorms mache, wäre das nicht besser als das, was mit Marie Sophie passiert ist. Schuld ist ein starkes Wort. Aber eine Mitverantwortung besteht durchaus. Auch bei denen, die mit ihren Kommentaren noch auf sie eintraten, als sie längst am Boden lag.

Auf Wiedersehen Marie Sophie.

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Bär& ich – Die jungen Jahre von Kiki Thaerigen

Lange war es angekündigt und noch länger wurde es erwartet: das Bärenbuch von Kiki Thaerigen. Pünktlich vor Ostern (und einer langwierigen, unangenehmen Erkrankung) kam es an. Die Erwähnung der nervenden Krankheit ist deshalb wichtig, weil mir das Bärenbuch Trost spendete und gegen Langeweile half, wenn ich nur stundenlang im Bett liegen konnte. DSCI0073

Wer Kiki auf Twitter folgt (@e13kiki), kennt sie und den Bären ja schon länger durch lustige Gespräche und Bilder aus dem Leben mit Bär. Die Illustrationen im Bärenbuch sind wie immer wunderschön. Sie sind liebevoll detailreich und vermitteln Wärme und Einblick in die Beziehung zwischen Kiki und ihrem Bären. Ich bin jetzt nicht so die „Kunstkritikerin“, die so Tiefschürfendes über Farb- und Bildkomposition schwadronieren kann. Entweder, Bilder gefallen mir oder sie gefallen mir nicht. Die Bilder im Bärenbuch gefallen mir eindeutig, sie sind wunderbar.

Die Geschichte selbst ist ein Gespräch zwischen Kiki und Bär im Stil eines lockeren Geplauders. Es fliesst mal hierhin und mal dorthin, es ist sehr lustig, manchmal nachdenklich und ab und zu auch ein bisschen melancholisch. Wir erfahren, woher der Bär eigentlich kommt und was seine Aufgabe ist (außer, die Leckereien aus dem Kühlschrank zu mopsen^^), was Kiki und Bär in der Kindheit so erlebt und angestellt haben und man erkennt sich in vielen Situationen einfach wieder. Zumindest, wenn man zu den „komischen, uncoolen Kindern“ gehörte – die letztendlich aber doch die cooleren waren. Oft gab es den Aha-Moment: „Ja, genau so war das bei mir auch!“
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Das Bärenbuch ist eine liebevolle Hommage an das Leben und wenn man es liest und anschaut, hat man mehr als einmal das Gefühl, mit den beiden Protagonisten in der Bärenbibliothek zu sitzen und dem Gespräch der beiden zu lauschen. Absolute Leseempfehlung! Und wer nun auch so ein schönes Bärenbuch möchte, der gucke mal hier, ein paar wenige gibt es wohl noch:

Bärenbuch