ICH GEB DIR GLEICH HEILIG! Ein Stück Theater über Gott und die Wäsche

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Warum trifft man sich ausgerechnet an Heiligabend in einem Waschsalon? Und vor allem, WER trifft sich da? Zehn Menschen, die mit dem christlichen Weihnachtszeug nichts anfangen können. Erdem und Aylin sind Moslems, Evelyn ist Jüdin, Masakatsu ist Buddhist, Gaby wuchs in den USA zwischen der baptistischen und katholischen Kirche auf, Heike ist Katholikin und Franziska ist gar nichts, weil in der DDR großgeworden. Da war Religion per se verboten. Raj ist Hinduistin, Silke „mußte“ zum Konfirmandenunterricht, ging aber nie in die Kirche, weil es sie nicht interessiert hat. Einzig Simon ist dabei, seinen christlichen Glauben zu suchen und zu festigen. Was sie alle gemeinsam haben? Sie alle wohnen in Neukölln.
Zwischen Waschmaschinen, Trockner und einem wunderbaren Automaten, der je nach Bedarf Waschmittel, Lametta oder Kaffee ausspuckt, wird erzählt. Wie Weihnachten früher war, daß es in vielen Kulturen einfach religionsentleert übernommen wird, weil, den leuchtenden, bunten Baum und die Geschenke finden sie ja alle toll. Ausser Raj, sie kann Weihnachten nicht leiden. Alle erzählen nett durcheinander von ihren religiösen Erfahrungen und Ansichten, erfreulich spannungsfrei. Der Engel der Verkündigung erscheint, um die Nachricht der Geburt Jesu in die Welt zu tragen, vertut sich dabei aber schon mal, so daß Gott ihn kurzerhand zur Sterblichen namens Heike degradiert.

Anne Verena Freybott und Stefanie Aehnelt haben ein Stück geschaffen, in dem ein friedliches Miteinander propagiert wird, oder vielleicht eher ein „Nebeneinander“. Mit Laiendarstellern aus Neukölln, die sich ohne gestelzte Allure durch das Stück berlinern und zum Ende eine gemeinsame Party mit türkischen Ravioli feiern – in ihrem „wunderbaren Waschsalon“.

Die Neuköllner Realität indes sieht leider manchmal ganz anders aus. Da fliegt schon mal ein steingespickter Schneeball haarscharf neben Franziska gegen eine Schaufensterscheibe und es fallen Worte wie: „Isch stech Disch ab, Du deutsche Hure!“ weil sie kein Kopftuch trägt. Franziska wehrt sich, brüllt: „Dann jeh doch nach Hause, Scheiß-Kanake!“ und regt sich noch eine Stunde später auf.
„Dit is doch echt zum Kotzen! Muß ick mir sowat sagen lassen von so nem 15 jährigen Spacko?! In MEINEM Land? Ick muß keen Kopptuch tragen! Aber wenn ick denn wat von Kanake sage, bin ick SOFORT ´n Nazi! MANN!“ Sie ist natürlich keiner! Würde sie sich sonst abends auf die Bühne stellen in einem Stück, in dem Integration funktioniert? 🙂

Der diskrete Charme der Berliner Mietskaserne

Berlin ist eine wirklich riesige Stadt mit einhunderttausend verschiedenen Häusern, mindestens! Natürlich gibt es darunter potthässliche Betonklopper und wunderschöne Jugendstilvillen, klassizistische Fassaden, 60er-Jahre-Bausünden, alles da. Und genau das macht Berlin aus, Häuser-Multikulti, Abwechslung fürs Auge. Mit Grausen denke ich da an Raphael Horzons Idee, sämtliche Berliner Fassaden einheitlich zu verschalen, was für eine bekloppte Idee! (Und vermutlich ohnehin nur eine weitere Methode, die Leute zu verschaukeln…)
Gerade in Neukölln, Wedding, Charlottenburg und Wilmersdorf gibt es wunderbare Fassaden, wenn man sich die Mühe macht, einmal hinzusehen. Wobei in Charlottenburg und Wilmersdorf eher das Bürgertum residierte und in Wedding und Neukölln die Arbeiter. In den ersten beiden Bezirken findet man wahrlich riesige Altbauwohnungen, heute meist umgebaut in Kanzleien, Praxen oder Agenturen, mit breiten Aufgängen und abenteuerlich ruckelnden, käfigartigen Aufzügen, Dienstbotenzimmern sowie einem großen und einem kleinen Salon.

Jugendstilfassade in der Sonnenallee

Hier in der Sonnenallee gibt es keine zwei Salons, hier gibt es zwei große Zimmer mit knarrendem Dielenboden, viergeteilte alte Doppelfenster, die meine Oma besonders gern putzte, weil es bedeutet, pro Fenster 16 x putzen, achtmal innen, achtmal aussen. Hier gibt es Häuser mit großen Innenhöfen, manchmal zwei oder sogar drei, vier. Und viele Menschen haben sich das orientalische Prinzip zu eigen gemacht: Egal, wie grau und unansehnlich die Seite zur Strasse aussehen mag, viele Höfe sind kleine Oasen. Sie sind bepflanzt, oft stehen vorm Sperrmüll gerettete Stühle und Bänke in Sitzgruppen zusammen. Man trifft sich da, quatscht, tratscht, man kennt sich. Aber etwas gibt es in diesen Altbauwohnungen, das ich seit meiner Kindheit liebe, und zwar ist das der Einbauschrank unter dem Küchenfenster! Mit diesem wunderbar breiten Fenterbrett, auf dem man sitzen kann wie auf einer Bank. Schwindelfrei sollte man ab der dritten Etage aber sein 🙂

Lieblingsplatz seit Kndertagen

Engelkonsole in Neuköllner Hausflur

Berlin, mein Berlin!

Als ich Mittwoch in Berlin ankam, wehte mir ein eisiger Wind ins Gesicht, gefühltes Sibirien, abgestorbene Finger und ein Gefühl wie eine Botox-Vollinjektion fürs Gesicht, Mimik eingefroren. Gott sei Dank kam der Bus nach Neukölln ziemlich schnell, auf in die Sonnenallee! Die Strecke fasziniert mich jedesmal: zuerst streift man kurz das Regierungsviertel, nur um vielleicht 5 Kilometer weiter im Orient zu landen. An der Urbanstrasse über die Sonnenallee bis zur Oranienburger reiht sich ein arabisches/türkisches/syrisches Geschäft an das andere. Mittendrin auf dem Herrmannplatz als deutsche Bastion ein riesiger Karstadt zwischen Obst- und Gemüseläden, türkischen Bäckereien, syrischen Wasserpfeifen- und Teppichhändlern. Ich liebe diese orientalischen Supermärkte! Rosensirup, Granatapfelessig, Sesam- und sämtliche Nußsorten (nein, ich schreibe es aus Prinzip NICHT mit 3 „s“!) in Honig und das Obst und Gemüse ist sowieso ein Traum…
In Franziskas großer, gemütlicher Altbauwohnung angekommen, erwartet mich Wärme und drei neugierige Katzen, sowie ein verschneiter Ausblick:

Ein Wort zu den Berlinern (oder zwei oder drei 🙂 Ich darf das, bin selbst eine!) Berliner sind bekannt für „Herz mit Schnauze“, manchmal ist es aber auch nur Schnauze ohne Herz. Grundsätzlich ist der Berliner als solcher kommunikativ, kommt eben nur drauf an 🙂
Bei der derzeitigen Witterung hat Busfahren in Berlin etwas von öffentlichen Verkehrsmitteln in Afrika – bis auf die Temperatur natürlich! Kommt der Bus pünktlich, kommt er überhaupt? Er kam, 25 Minuten verspätet, und so überfüllt, daß man sich wirklich wundert, daß niemand auf dem Dach sitzt und die Leute nicht draussen an den Seiten hängen. Die nachfolgenden drei Busse der gleichen Linie sind natürlich gähnend leer…Der Busfahrer hat die Ruhe weg: „Letztet Jahr hamse jesacht, et wird jeschippt. Und? Nu kieken Se, nüscht is!“ sagt er zu mir, als ich über den hohen Schneeberg Richtung Einstieg kraxel. Naja, sind ja auch Massen von Schnee 😉

Jüdisches Museum Berlin

Im Jüdischen Museum ist gerade Chanukkah-Markt, sowas wie unsere Weihnachtsmärkte. Es heisst ja auch schon „Weihnukka“ bzw. in den USA „December Dilemma“ 🙂 Die Sicherheitsmaßnahmen sind wirklich unglaublich! Als würde man im Flughafen einchecken: Jacken und Taschen müssen durch ein Röntgengerät, man selbst durch einen Metalldetektor. Leider ist das noch immer unumgänglich. Aber drinnen ist es wirklich unglaublich!
die Deckenkonstuktion im Lichthof

die drei Chanukkah-Segenssprüche

Und nach gemütlichem Rumschlendern: Pause mit heisser Schokolade, koscherem Dominostein und Haekelschwein 🙂