Im heutigen Zeitalter der permanenten Internet-Aufreger, der allgemeinen wir-sind-ja-über-alles-so-betroffen-Haltung und sowieso ist „dieses Neuland“ an allem Schuld, möchte ich mal eine andere Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die zeigt, auch Menschlichkeit gibt es in diesem Internet. Sie geht nur sehr häufig unter, weil sie, im Gegensatz zu politischen Skandalen und Promi-Skandälchen, nicht an der großen Glocke hängt.
Es dürfte so ungefähr 15 Jahre her sein, da ging es mir finanziell richtig, richtig be…scheiden. So bescheiden, daß ich am Monatsende die Brotscheiben zählte, ob die noch bis zum Letzten des Monats für die Schulbrote meiner Tochter reichen würden – wenn ich keine davon aß. Warum das so war, ist schnell gesagt: ich geriet durch gewisse, unerfreuliche Umstände, in die Mühlen der Ämter, an denen vorne das Wörtchen „sozial“ dranhing.
Ich besaß weder Internetzugang noch Computer, aber meine Bank! Da gab es eine Selbstbedienungs-Kaffeemaschine und drei Computerarbeitsplätze. An jedem Monatsletzten saß ich also da und während ich im 30-Minuten-Turnus zum Automaten ging, um nachzusehen, ob endlich mein Geld eingetrudelt war, hing ich in einem Chatroom rum. Zumindest wurde die Warterei dabei nicht langweilig.
Nach einigen Wochen fiel das einem meiner Chatpartner auf. Das ich immer nur am Monatsende da war und immer in einer Bank. Er fragte mich danach, weil ich während unserer Chats (natürlich) kaum ein Wort darüber verlor. Das Chatten war zu der Zeit der einzige Spass, den ich da hatte – und da wollte ich nicht rumjammern. Ich wollte auch erst nicht mit der Sprache raus, aber dieser Mensch da am anderen Ende im Irgendwo, war einfühlsam und ich dachte: „Was soll´s? Der sitzt irgendwo in Deutschland und kennt dich nicht, also, egal…“ Und dann geschah folgendes:
„Gib mal deine Kontonummer.“
„Nein!“
„Doch, kannste ruhig machen.“
„Nein! Dir ist doch klar, daß ich nicht mal wüßte, wie ich dir in der nächsten Zeit 20 € wiedergeben sollte und ich will keine Schulden oder Verpflichtungen.“
„ Du HAST keinerlei Verpflichtungen, versprochen. Und von Wiedergeben will ich gar nichts hören, ok?!“
Das ging noch eine Weile Hin und Her. Wir leben in einer Zeit, in der niemand einfach wohltätig ist, noch dazu zu einem falschen Namen vor einem Monitor! Am Ende gab ich ihm meine Kontonummer. Als ich eine Viertelstunde später nachsah, hatte ich einen Zahlungseingang von 500 Euro! Ich brach vor dem Automaten in Tränen aus.
„Bist du verrückt ?!“
„ Nee. Und jetzt gehste mit deiner Tochter richtig schön essen, ok? Ich wünsche euch einen schönen Tag!“ Sprach´s und loggte sich aus.
Ungefähr 18 Monate später änderte sich meine Situation erneut. Es war absolut kein Problem mehr, jemandem 20, 100 oder 500 € zurückzuzahlen. Also ging ich in den Chatroom, diesmal von meinem eigenen Rechner aus, suchte und fand meinen Chatpartner.
„Gib mir bitte deine Kontodaten, ich kann dir dein Geld wiedergeben.“
„Nein. Das war ein Geschenk, habe ich doch gesagt.“
„Ja, aber…“
„Kein aber! Ich habe das genau so gemeint und ich habe dir gerne geholfen.“
„Warum eigentlich? Ich meine, ich hätte doch so ein Schmarotzer sein können, der nur die Leute abzockt. Das konntest du doch gar nicht wissen.“
„ Das stimmt, konnte ich nicht. Du wirktest aber nicht so – und dieses Gespräch jetzt beweist mir das auch.“
Ich habe niemals erfahren, wer dieser Mensch war aber diese Tat war eine der menschlichsten, die ich jemals durch „dieses Internet“ erleben durfte.
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