Silvia Seidel – Versuch eines Nachrufs

Silvia Seidel ist tot und ich denke als allererstes an „Anna“. Wie vermutlich jeder Mensch in Deutschland. Ausgerechnet „Anna“, die ihr mehr zum Fluch als zum Segen wurde, ist das, was bleiben wird – für immer. Auch bei mir, das gebe ich zu. Ich war hingerissen von dieser wunderhübschen, zerbrechlich-stählernen Elfe Silvia Seidel, so sehr, daß ich meine Tochter nach dieser Filmfigur benannte. (Gut, wenn sie „Glyzenia“ geheissen hätte, vermutlich eher nicht!) Nicht, weil ich wollte, daß meine Tochter Ballerina wird (auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte), sondern weil „Anna“ trotz aller Zartheit mutig war und stark, weil sie für das, was sie wollte, gegen alle Widrigkeiten kämpfte. Ich hätte Silvia Seidel MEHR von „Anna“ gewünscht OHNE die Vereinnahme durch diese fiktive Person.

Foto: dpa

Besonders tragisch ist, daß es ein Freitod war und der einzige Mensch, der Frau Seidel vermisste, die Wirtin ihrer Stammkneipe war. Wie unendlich traurig! Hätte man es verhindern können? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Menschen, die an Depressionen leiden, sind hervorragende Schauspieler, Meister darin, ihrer Umgebung vorzumachen, alles wäre prima. Vielleicht hat sie versucht, darüber zu reden und bekam die üblichen Floskeln zu hören: „Ach, Silvia-Mädchen, jetzt reiß dich mal zusammen! Was hast du denn für´n Grund, unglücklich zu sein, anderen geht´s doch viel schlechter…“ Dann sagt man halt nichts mehr und leidet stumm. Und allein. Denn Menschen mit Depressionen brauchen einen starken Partner. Ich weiß es, ich habe einen solchen! Wie oft mußte er Heul- und Wutanfälle ertragen, für die er den Grund weder kannte noch verstand, kam nicht an mich ran und versuchte trotzdem, mich zu trösten. Das kostet Nerven. Und wenn man ein Promi ist, fällt ja auch noch die Presse über einen her! Dazu sage ich hier jetzt aber nichts, das gehört nicht hierher. Nur eines: Es wurde ja immer davon gesprochen, Frau Seidel spiele „nur“ noch Theater. Ich verstehe nicht, warum das so abschätzig rüberkommt. Um auf einer Theaterbühne zu stehen, muß man wirklich etwas können – ganz im Gegensatz zum Film. Wenn einer da seinen Text nicht kann, wird eben nochmal gedreht oder sie bekommen so´n Flipchart hingestellt, von dem sie ihren Text ablesen. Es gibt Filmschauspieler, die haben die Ausstrahlung und Mimik eines Weißbrots und sind „Stars“. Auf einer Theaterbühne braucht es Charisma und Können. So sehe ich das.

Auch wenn es schwierig ist, Depressionen zu erkennen, unmöglich ist es nicht. Ich habe immer wieder mal nach ihr gegooglet, so „was macht eigentlich Silvia Seidel“ und habe mir Fotos angesehen. Und ich dachte: Sie sieht traurig aus.

Foto: ZDF/Chr.A.Rieger

Stehe nicht an meinem Grab und weine

Stehe nicht an meinem Grab und weine.
Ich bin nicht dort, ich schlafe nicht.
Ich bin wie tausend Winde, die wehen.
Ich bin das diamantene Glitzern des Schnees.
Ich bin das Sonnenlicht.
Ich bin der sanfte Herbstregen.
Ich bin der Morgentau.
Wenn du aufwachst in des Morgens Stille,
bin ich der flinke Flügelschlag friedlicher Vögel im kreisenden Flug.
Ich bin der milde Stern, der in der Nacht leuchtet.

Stehe nicht an meinem Grab und weine
Ich bin nicht dort, ich bin nicht tot.

(Gebet der Hopi)

4 Antworten auf “Silvia Seidel – Versuch eines Nachrufs”

  1. Sehr gut gelungen…
    Ich kann es irgendwie immer noch nicht glauben. Ich habe das Gefühl, das ein Stück meiner Jugen mit gestorben ist.
    diese welt ist so brutal…..

    Markus

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